Exkurs Wahrnehmungstheorie

Handferngläser sind Ergebnis jahrhundertelanger Entwicklungen und Spiegel des 'Zeitgeistes' an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Das Fernglas steht in Zusammenhang ererbter und erlernter Sehgewohnheiten und gehört zu einer Kulturtechnik des Sehens die sich seit der Renaissance kontinuierlich fortentwickelt. Es gibt erstaunlich wenig Veröffentlichungen die das Thema Fernglas in ein Verhältnis zu anderen Wahrnehmungsmitteln -Techniken und -Medien setzen. Ja es scheint fast so, dass Ferngläser geradezu ausgelassen, ausgeklammert oder übergangen werden. Dafür gibt es manche Gründe. Der folgende Text ist ein Versuch verschiedene Aspekte von Fernglassehen zu behandeln und in ein Verhältnis, einen Zusammenhang zu anderen Betrachtungstechniken zu bringen. Für diejenigen, die an physikalischen, physiologischen und technischen Grundlagen von Handferngläsern und Fernglassehen interessiert sind, sei das Buch von Holger Merlitz mit vielen wertvollen Informationen zu Aufbau Technik und Auswahl von Handferngläser empfohlen (Merlitz, Holger: Handferngläser: Funktion, Leistung, Auswahl. 2013). Die Auswahl der folgenden Texte ist ein Versuch relevante Fragen zur Wahrnehmung aus kulturgeschichtlichem und geisteswissenschaftlichem Hintergrund schlaglichtartig zu beleuchten.

 

Florian Welle behandelt in seinem 2009 erschienen Buch 'Der irdische Blick durch das Fernrohr' die Auseinandersetzung der Literatur mit dem Fernrohrsehen. 

'Die Literatur in ihrer Funktion als 'Sozialisationsspiel' ist schließlich das Medium, in dem die bürgerliche Gesellschaft ihre 'Formierung' wie ihre Bewußtseinslage verhandelt. Und so erscheint die Verknüpfung des Fernrohrs mit literarisch-dezentrierten Figuren als Inszenierung von Probehandlungen, welche die Ambivalenz der Apparate-Sinnlichkeit mitreflektieren. Zur Disposition steht in den literarischen Wahrnehmungsexperimenten die Frage nach dem bürgerlichen Subjekt zwischen Selbstermächtigung und Selbstverlust, zwischen Zentrierung und Dezentrierung, Stabilisierung und Destabilisierung, ausformuliert am Problem der Wahrnehmung. Dieses bewegt sich entlang der Gegensätze  vom unbewaffneten Sehen und armierten Sehen, von Rahmungsgebung und Rahmungszerfall, Begrenzung und Entgrenzung des Blickfeldes sowie monofokalen und polyfokalen Betrachtungsweisen. Zusammengefaßt: zwischen strukturierter, komplexitätsreduzierender und entstrukturierter, komplexitätssteigernder Visualität; und es arbeitet sich ab an der Dynamisierung der Schärfentiefe wie der Größenverhältnisse. Kurz: an dem Verhältnis von Scharf-Sehen und Unscharf-Sehen und dem Verhältnis des Kleinen zum ganz Großen, von Mikro- und Makroperspektive. Die Dichotomien und Aporien der Wahrnehmung, wie sie die Apparatesinnlichkeit des Fernrohrs entbindet, sind von so eminenter Bedeutung für den Blick des Menschen nach dem ihm eigenen Stand-Ort auf eben dieser Welt, daß sich die Literatur bis heute mit ihnen auseinandersetzt. Dabei gleicht sie ihre Probleme mit der fortschreitenden medialen Entwicklung ab.'

(Welle, Florian: Der irdische Blick durch das Fernrohr, Literarische Wahrnehmungsexperimente vom 17. bis zum 20.Jahrhundert. Würzburg, 2009. S. 269)

 

Prof. Dr. Dorothee Kimmich behandelt in Ihrem 2000 erschienenen Aufsatz 'Kleine Dinge in Großaufnahme. Aufmerksamkeit und Dingwahrnehmung bei Robert Musil' den literarischen Diskurs zur Wahrnehmung und Aufmerksamkeit Anfang des 20.Jahrhunderts. Im Text von Musil wird das Fernglas (Trieder) als Medium der Verfremdung und Sichtbarmachung von Welt untersucht.

'Triëdere wird im einleitenden Absatz als “Versuch” bezeichnet. Der Text soll das Erlebnis von Zeitlupenaufnahmen vermitteln, wo sich “der Zuschauer zwischen den Dingen des Lebens gleichsam mit offenen Augen herumschwimmen sieht.” Dies sei ein Kinoeffekt, den man aber mit Hilfe eines Fernrohrs auch selbst herstellen könne. Der dann folgende Text beschreibt ein Wahrnehmungsexperiment, das offenbar die Relationen von Raum, Zeit, Dingwelt und Beobachter neu definiert. “Auf solche Weise” - heißt es am Ende - “trägt also das Fernglas sowohl zum Verständnis des einzelnen Menschen bei als auch zu einer sich vertiefenden Verständnislosigkeit für das Menschsein.”53

Der Beobachter hatte zunächst sorgfältig das Haus gegenüber in Augenschein genommen und dort nach längerem Suchen “zwei winzige, dicht nebeneinanderstehende Herren, die mit den Fingern an die Scheiben trommelten”54 entdeckt, dann die Linien der Fassade verfolgt, um schließlich einen Gegenstand in Bewegung zu beobachten. Dazu dient die herannahende Straßenbahn: “Eine unerklärliche Gewalt drückte plötzlich diesen Kasten zusammen wie eine Pappschachtel, seine Wände stießen immer schräger aneinander [...]”55 Was wie ein Bild von Dix oder Kirchner wirkt, bildet den Übergang zu neuen Entdeckungen, diesmal mit eindeutig voyeuristischem Interesse: Unter den strengen Formen der damaligen Mode erahnt der Beobachter mit Hilfe des Triëders die “ureinfachen Hügel, aus denen die ewige Landschaft der Liebe besteht.”56

Das Experiment ist beendet und wird nun kommentiert: Die Beamten im Nebenhaus erscheinen wie kleine Puppen oder Tierchen, das Haus wird zur Fläche, Bewegung wird als Deformation von Körpern wahrgenommen, und am Ende sind Kleider lebendiger als die darin versteckten Körper. Die alltägliche Ordnung der Dinge hat sich aufgelöst.57 Das Mittel dazu, so erklärt der Erzähler, ist die “Isolierung”: “Man sieht Dinge immer mitsamt ihrer Umgebung an und hält sie gewohnheitsmäßig für das, was sie darin bedeuten. Treten sie aber einmal heraus, so sind sie unverständlich und schrecklich [...].”58 Die Verfremdung durch Isolierung verleihe dem Gewöhnlichen einen geradezu dämonischen Eindruck. Die Dinge in ihrer ”glashellen Einsamkeit” werden zu etwas “Wahnsinnsähnlichem”.59 '

53 Ebd. S.522. Indem es die gewohnten Zusammenhänge auflöst und die “wirklichen” entdecke, ersetze das Fernglas gewissermaßen das Genie oder sei zumindest eine Vorübung dafür. (Ebd.) Zur Geschichte der Beobachtung, ihrer Hilfsmittel, zu Wahrnehmungsphysiologie und Philosophie im 19. Jahrhundert vgl. Jonathan Crary, Techniques of the Observer. On Vision and Modernity in the Nineteenth Century, Cambridge/Mass. 1990.

54 Robert Musil, Triëdere, S.519.

55 Ebd. S.493f.

56 Ebd. S.520. 13

57 (Hier nicht wiedergegeben)

58 Robert Musil, Triëdere, S.520.

59 Ebd. S.495. Neben der Isolierung der einzelnen Dinge aus ihrem Kontext ist es natürlich auch die Verdinglichung der Personen und die Vermenschlichung der Dinge, die hier den Eindruck des Unheimlichen entstehen läßt.

 

Im Hinblick auf bevorstehende Veränderungen unserer Wahrnehmung durch Medien, Kommunikationsmittel u. Darstellungstechnik ('unerbittliche fortschreitende Abstraktion des Visuellen') untersucht Jonathan Crary in seinem vielzitiertem Buch 'Techniques of the Observer' die entscheidenden Vorläufer dieser Entwicklung, die Umstrukturierung des Sehens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die eine neue Art von Betrachter hervor brachte. In dieser Entwicklung spielen Stereoskop und  Fernglas eine Rolle. 

'Die Moderne führte zu einer Neubewertung und Deterritorialisierung des Sehens. (...) Um das Problemfeld Sehen und Moderne zu begreifen, muß man nicht nur die Malerei der siebziger und achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts, sondern zunächst die vorausgehenden Jahrzehnte betrachten. Ein neuer Betrachtertypus, der auf Gemälden oder Graphiken nicht zu erkennen ist, entwickelt sich in den Jahrzehnten. (...) Hier aber geht es auch um einen Betrachter, der in anderen, eher grauen Praktiken und Diskursen Gestalt annimmt und dessen bedeutendes Erbe alle Bilder- und Spektakelindustrien des 20. Jahrhunderts sein werden. Der Körper, der - wenn es ums Sehen ging - ein neutraler bzw. unsichtbarer Begriff gewesen war, wurde nun zur Dichte, aus der das Wissen des Betrachters erlangt wurde. Diese spürbare Dunkelheit und körperliche Dichte des Sehens gerieten so plötzlich ins Blickfeld, daß die Tragweite ihrer Folgen und Wirkungen nicht sofort verstanden werden konnte. Sobald das Sehen aber einmal in der Subjektivität des Betrachters neu verortet worden war, öffneten sich zwei verschlungene Pfade. Der eine führte zu den vielfältigen Behauptungen der Souveränität und Autonomie des Sehens, die aus diesem neu ermächtigten Körper in der Moderne und anderswo bezogen wurden. Der andere führte zur zunehmenden Normierung und Regulierung des Betrachters, die aus dem Wissen des visionären Körpers gewonnen wurden, hin zu Formen der Macht, die auf der Abstraktion und Formalisierung des Sehens beruhten.'

(Crary, Jonathan: Techniken des Betrachters - Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert (Techniques of the Observer). Dresden u. Basel 1996. S.152)

 

Rudolf Arnheim behandelt in seinem Buch 'Film als Kunst' den Begriff der 'partiellen Illusion'

'(...) die Illusion, die das Theaterspiel (und auch das Filmspiel) erweckt, ist nämlich nur eine partielle. Innerhalb einer Bühnenszene wird auf Natürlichkeit Wert gelegt (...) Aber - der Raum hat nur drei Wände: die vierte Wand, die zum Zuschauerraum, ist offen. (...) Die Abweichung vom Natürlichen wird soweit stillschweigend hingenommen, als die Technik des Schauspielens es erfordert. Das meinen wir, wenn wir sagen: die Illusion ist nur partiell. Die Bühne liegt sozusagen in zwei verschiedenen Reichen, deren Gebiete einander schneiden. Einmal will sie Natur geben, aber sie gibt eben nur ein Stück Natur, das räumlich und zeitlich aus der Realzeit und dem Realraum des Zuschauers herausgeschnitten ist: die Bühne ist zugleich Schaukasten, Angesehenes, Spielplatz und fällt damit in das Gebiet des bloß Fingierten. Aber die Illusionskomponente bei der Bühne ist relativ stark, indem ja ein realer (Bühnen-) Raum und ein realer Zeitablauf tatsächlich gegeben sind. Äußerst gering ist hingegen, wenn wir ein Bild betrachten, etwa eine Photographie, die vor uns auf dem Tisch liegt. Die Photographie stellt, ebenso wie die Bühne, einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit (einen Zeitmoment) dar, aber sie tut dies nicht, wie die Bühne, mit Hilfe eines realen Raums (und eines realen Zeitablaufs).'

(Arnheim, Rudolf: Film als Kunst. Fischer Taschenbuch Verlag, 1979. S. 39- 40)

 

Auch bei einem guten Fernglas wird das vergrößerte Bild als 'partielle Illusion', als vollkommen wirklich angenommen. Der Gesichtssinn erkennt dann ganz selbstverständlich einen größeren Anteil des dargebotenen Bildes als wenn der Einblick in ein schwaches Instrument 'erzwungen' wird. Gelingt die Illusion steht der Beobachter geradezu selbst im Bild. Das Gesehene kann dann große Unmittelbarkeit gewinnen. Es bleibt jedoch empfindlich. Schon geringe Veränderungen schaffen eine andere Bildwirkung, einen anderen Eindruck. Dies wird bei militärischen Ferngläsern genutzt um ein gutes Bild durch Verfremdung mittels Einfärbung zu abstrahieren. Das Bild ist da, optisch richtig, aber es wird durch Färbung (oder Entfärbung) vereinfacht, zusammengezogen und so auch für das Bewußtsein als nicht 'natürlich' gekennzeichnet. Damit wird unaufgeregte und ermüdungsfreie Beobachtung erleichtert. Fernglassehen ist anstrengend. Es erfordert (wenn auch unbewußt) den ständigen Abgleich zwischen 2 Realitäten, der mit unbewehrten Augen wahrgenommenen, und der durch das Fernglas vielfach erweiterten Welt.  

 

Im Aufsatz von Stephan Günzel zur Geschichte und Ästhetik von 3D-Bildern (2012) werden eine Vielzahl, kulturgeschichtlicher Aspekte zu unserer räumlichen Wahrnehmung behandelt. Der Text bezieht sich auf die Entwicklung des 3D-Films, der in einem gewissen  Zusammenhang zum Fernglassehen steht. Die menschlichen Sinne werden von beiden Medien ähnlich angesprochen. Auch das Fernglas vermittelt '3D-Sehen', jedoch eben realer Inhalte.  

'Bereits das linearperspektivische Bild symbolisierte auf formale Weise, wie Erwin Panofsky in seiner maßgeblichen Studie über Die Perspektive als symbolische Form von 1927 zeigte, zweierlei: ein systematisches Raumverständnis, das die Unendlichkeit und Apriorizität des Geometrischen impliziert, und ein irdisches Raumverständnis, welches das Diesseits nicht nur subjektivierte, sondern zu einem Ort des Menschen machte. Unendlichkeit (der Berechenbarkeit) und Subjektivität (der Wahrnehmung) sind damit keine Gegensätze, sondern Elemente ein und desselben 'Weltbildes' nämlich dem der Neuzeit. Durch seinen linearoptischen Anteil (jedes Einzelbildes) drückt folglich auch das stereoskopische Bild diese kulturelle Bedeutung einer Form aus, jedoch kommt aufgrund des auf dem physiologischen Wissen beruhenden Schichtungseffekts noch ein weiteres Moment hinzu: das der Tiefe, und zwar einer sich entziehenden und mithin beunruhigenden Tiefe. Tiefe allein war auch dem linearperspektivischen Bild eigen und das Bindeglied zwischen der Unendlichkeit des Raums und einen Subjekt, das zu diesem in Relation tritt. Oswald Spengler brachte das vor Panofsky 1918 im ersten Band seiner Morphologie der Weltgeschichte mit einer Nuancierung auf dem Punkt, wonach erst die Neuzeit den Begriff des Raums (im Unterschied zu >Ort< in Antike und Mittelalter) haben konnte, weil sie ein Verlangen nach Tiefe entwickelt hätte; respektive, weil es nach einer Symbolisierung für die 'empfundene Tiefe' (Spengler 1972, 217) suchte, habe es zu entsprechenden Raumdarstellungen kommen können. Gar behauptet Spengler: 'Erst die Tiefe ist die eigentliche Dimension im wörtlichen Sinne, das Ausdehnende' und wie in Vorwegnahme des 3D-Films, wohl aber auch schon unter dem Eindruck des zeitgenössischen Films, schreibt er weiter: 'Das Erlebnis der Tiefe ist (...) ein (...) vollkommen schöpferischer Akt. (...) Er schafft aus dem Strom der Empfindungen eine formvolle Einheit, ein bewegtes Bild (...)'. Stereoskopische Filme 'vertiefen' nun die ohnehin durch Proportionalität und Verdeckung wahrnehmbar gemachte Tiefe des linearperspektivischen Bildes noch einmal, indem sie die Schichtung des Bildes, oder genauer den Eindruck mehrerer (materieller) Bildebenen hintereinander zeigen, also Raum hinter dem Raum oder Räume hinter Räumen. Es ist daher kaum verwunderlich, das die Sujets der ersten Hochphase des 3D-Kinos solche waren, die bspw. den 'outer Space' (das Weltall) oder den 'Deep Space' (das Unterseeische) zeigten. Tiefe wird hier durch jede erdenkliche Konnotation evoziert: als (räumliche wie zugleich auch als zeitliche) Ferne, als Unerschlossenheit oder schlicht als (wissenschaftliches) Mysterium.'

(Distelmeyer, Jan: Raumdeutung, Zur Wiederkehr des 3D-Films. Günzel, Stephan: Das Verlangen nach Tiefe - Zur Geschichte und Ästhetik von 3D-Bildern. Bielefeld, 2012. S. 86 ff)

 

Im gleichen Buch bringt der Aufsatz von Jesko Jockenhövel den Aspekt unmittelbaren Angesprochen seins oder Hereingenommen seins durch 3D-Bilder bzw. Fernglassehen im Unterschied zu normalen ebenen Abbildungen zur Sprache.

'Glaubitz/ Schröter haben dargestellt, dass sich durch die Diskursgeschichte des Raumbildes eine Tendenz zieht, das flächige Bild höher einzuschätzen als das Raumbild und mit dem 3D-Bild eher sensuelle Erfahrungen zu verbinden. Weil 'das Ding nicht nur unseren Distanzsinn des Sehens anspricht', So Glaubitz/ Schröter, 'sondern auch taktile, haptische und motorische Empfindungen und Aktivitäten evoziert, wird es zu einem potentiellen oder unterschwelligen Problem abendländischer Erkenntnistheorie und (...) Ästhetik.' (Distelmeyer, Jan: Raumdeutung, Zur Wiederkehr des 3D-Films. Jockenhövel, Jesko: Analogien zwischen frühen Farbfilmen und digitalen 3D. Bielefeld, 2012. S. 139 ff)

 

Virtual Reality (VR) wird als nächster Technik-Megatrend erwartet. Die neuen VR-Brillen sind mittlerweile auf einem technisch beeindruckenden Niveau angekommen. Schon ein einfacher Selbstversuch mit Smartphone, App und VR-Brillengehäuse lassen Bilder und Filme interaktiv im 360° Grad Rundumblick erleben. Unter Augmented Reality(AR) versteht man computergenerierte Zusatzinformationen, die auf Datenbrillen zum realen Bild eingeblendet werden. Es wird auch von Mixed Reality gesprochen. Neben aktuellen Google Entwicklungen lohnt der Website Besuch eines führenden Herstellers, der Osterhout Design Group zum Stand der Technik (www.osterhoutgroup.com Smartglasses). Elemente von Augmented Reality können entsprechend adaptiert  natürlich auch in Ferngläsern Verwendung finden. Der folgende Text beschäftigt sich mit neuen künstlichen Räumen und veränderter Wirklichkeit.

'Der stereoskopische Film und viel mehr noch das 3D-Computerspiel fordern uns förmlich auf zu Mitspielern zu werden, uns in diesem künstlichen Raum zu bewegen, und eine neue Generation von Computergames (...) trägt diesem Impuls Rechnung. Wenn ich in der vorherigen These davon gesprochen habe, dass die Entwicklung des stereoskopischen Bewegungsbildes auch die Kunsttheorie verändert wird, dann ist spätestens hier deutlich, wie sehr die Wahrnehmungspsychologie gefordert ist. Einmal mehr nämlich scheint es, dass sich in unserer Gesellschaft eine technologisch-ökonomisch-mediale Umwälzung anbahnt, zu der es kein kulturelles Gegengewicht gibt. Einer gewaltigen Wolke von Technikbegeisterten bunt bebilderten Schriften und einem Wölkchen eher missmutig kulturpessimistischen Mahnungen stehen so gut wie keine ernsthaften theoretischen Auseinandersetzungen mit dieser radikalen Veränderungen unseres Bildraumes gegenüber, die wie gesagt, im Kino nur ihren Anfang nimmt, doch schon längst in allen privaten und öffentlichen Räume dringt. Früher oder später wird eine Öffnung zwischen dem neuen Bildraum und dem Lebensraum der Wirklichkeit, vielleicht eine Art der Verschmelzung stattfinden. Man arbeitet am Konzept einer Augment-Reality-Audiovisualität, eine Art von Sehen, bei der man sich aus beiden Welten, der Fiktion und der Wirklichkeit, das gewünschte selber zusammenstellt und am Ende keinen wirklichen Unterschied mehr feststellt.' (Distelmeyer, Jan: Raumdeutung, Zur Wiederkehr des 3D-Films. Seeßlen, Georg: Schöne neue Bilderräume. 10 Thesen zur Entwicklung des 3D-Kinos und darüber hinaus. Bielefeld, 2012. S. 129 ff)

 

Zum Schluss ein Zitat des nicht unumstrittenen Autors Ernst Jünger.

' (...). Um auf die Stereoskopie zurückzukommen: ihre Wirkung liegt darin, daß man die Dinge mit der inneren Zange faßt. Das dies durch nur einen Sinn, der sich gleichsam spaltet, geschieht macht die Feinheit des Zugriffes groß. (...) Jede stereoskopische Wahrnehmung  ruft in uns ein Gefühl des Schwindelns hervor, indem wir einen sinnlichen Eindruck, der sich uns zunächst in seiner Fläche bot, in der Tiefe auskosten. Zwischen dem Erstaunen und dem Entzücken liegt, wie von einem köstlichen Sturz, eine Erschütterung, in der sich zugleich eine Bestätigung verbirgt - wir fühlen wie das sinnliche Spiel sich als ein geheimnisvoller Schleier, als ein Vorhang des Wunderbaren leise bewegt.'

(Jünger, Ernst: Das Abenteuerliche Herz. Stuttgart, 1994. S. 26)